Wirtschaft

Barrierefreiheitsstärkungsgesetz 2025: Das kommt auf Webseitenbetreiber zu

Mit dem neuen Barrierefreiheitsstärkungsgesetz kommen nächstes Jahr einige neue Anforderungen auf alle zu, die in der EU bestimme Produkte und Dienstleistungen anbieten. Der Fokus liegt dabei auf digitalen Angeboten. Vor allem die barrierefreie Gestaltung von Webseiten wird ein großes Thema für viele deutsche Unternehmen sein.

von Alena Restuccia-Maurer
28. Mai 2024
Eine Frau und ein junges Mädchen mit einer Armprothese sitzen an einem Tisch mit einem Laptop.

In knapp einem Jahr tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz der Bundesregierung in Kraft. Damit wird eine EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit im europäischen Raum von hauptsächlich digitalen Produkten und Dienstleistungen erfüllt.  

Noch haben sich allerdings die wenigsten Unternehmen damit befasst, welchen Anforderungen sie in Zukunft gerecht werden müssen. Dabei sind die geforderten Maßnahmen wichtig für eine inklusive Gesellschaft und Wirtschaft in Deutschland. Gerade digitale Angebote wie Webseiten oder Onlineshops müssen ab dem 28. Juni 2025 barrierefrei gestaltet und zugänglich sein.

Was ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?   

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – oder eigentlich Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen – wurde bereits 2021 erlassen und in Form eines Regierungswurfs verabschiedet. Das BFSG tritt in Deutschland ab dem 28. Juni 2025 in Kraft und definiert, welche Anforderungen an Barrierefreiheit von bestimmten Produkten und Dienstleistungen künftig einzuhalten sind. Dazu gehören auch Webseiten und Onlineshops.  

Mit dem BFSG werden bisherige Verordnungen zur Barrierefreiheit für Produkte und Dienstleistungen angepasst. Dazu gehören die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV), die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) und das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG). 

Wozu dient das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?  

Europa und auch Deutschland haben sich zum Ziel gesetzt, eine inklusive Gesellschaft zu fördern, in der alle Menschen selbstbestimmt leben können. Dazu muss die Barrierefreiheit in möglichst allen Bereichen des täglichen Lebens gegeben sein. Mit Inkrafttreten des BFSG stärkt Deutschland also eine gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von älteren Menschen sowie Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen.  

Bisher muss, wer Produkte oder Dienstleistungen innerhalb der EU anbietet, verschiedenen Anforderungen zu Barrierefreiheit gerecht werden. Um diese teils widersprüchlichen Standards im europäischen Raum zu vereinheitlichen, wurde das BFSG verabschiedet. Ziel des neuen Gesetzes ist, barrierefreie Produkte und Dienstleistungen günstiger und in größerer Verfügbarkeit auf den Markt zu bringen. Das soll zu einer besseren Vergleichbarkeit von Angeboten führen und könnte die Konkurrenzfähigkeit deutscher Produkte erhöhen.

Wen betrifft das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?

Ob das BFSG für einen Anbieter greift, hängt jeweils von der Art der angebotenen Produkte und Dienstleistungen ab. Das Hauptaugenmerkt des Gesetzes liegt auf digitalen Produkten, die nach dem 28. Juni 2025 auf den Markt kommen. Nach § 2 des BFSG sind diese Produkte definiert als ein Stoff, eine Zubereitung oder eine Ware, die durch einen Fertigungsprozess hergestellt wurden. Davon ausgenommen sind Lebens- und Futtermittel, sowie tierische oder pflanzliche Erzeugnisse. Unter Dienstleistungen fallen zum Beispiel Webseiten, E-Commerce, elektronische Tickets oder mobile Anwendungen.  

Das bedeutet, dass Händler, Hersteller, Importeure und Dienstleistungserbringer, deren Produkte oder Dienstleistungen innerhalb des Geltungsbereichs des BFSG liegen, die neuen Anforderungen erfüllen müssen. 

Hier sind einige Dienstleistungen und Produkte, die durch das BFSG geregelt werden: 

DienstleistungenProdukte
TelefondiensteComputer
E-BooksNotebooks
Messenger-DiensteTablets
Mobile Angebote und Dienstleistungen im überregionalen PersonenverkehrSmartphones
BankdienstleistungenGeldautomaten
Elektronischer GeschäftsverkehrFahrausweis- und Check-In-Automaten
PersonenbeförderungsdiensteE-Book-Lesegeräte
Router

Eine Ausnahme gibt es: dienstleistende Kleinstunternehmen, die weniger als zehn Mitarbeitende beschäftigen und einen Jahresumsatz (oder eine Jahresbilanzsumme) von maximal 2 Mio. Euro nicht überschreiten. Für Kleinstunternehmen, die Produkte vertreiben, gilt die Ausnahme allerdings nicht.

Wie müssen Webseiten angepasst werden?

Ein Hauptaugenmerk des Gesetzes liegt auf der barrierefreien Gestaltung von Webseiten. Unter anderem müssen ab 28. Juni 2025 die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) des World Wide Web Consortiums (W3C) verpflichtend eingehalten werden. Dabei handelt es sich um internationale Standards für die Barrierefreiheit von Webinhalten.  

Insgesamt fordert das Gesetz eine Reihe von Maßnahmen, die älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen den Zugang zu (hauptsächlich digitalen) Produkten und Dienstleistungen ermöglichen. Das BFSG sieht vor, dass relevante Dienstleistungen und Produkte künftig wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein müssen. Diese Anforderungen basieren auf den vier Prinzipien der Barrierefreiheit im Web, den sogenannten POUR-Prinzipien. POUR steht dabei für die englischen Begriffe perceivable, operable, understandable und robust.

Wahrnehmbar

Informationen müssen auf einer Webseite für alle wahrnehmbar sein, das heißt, sie sollten nicht nur auf einer einzigen sensorischen Eigenschaft (z.B. Sicht oder Klang) basieren. Funktionen und Inhalte sollen so präsentiert werden, dass sie von allen Nutzerinnen und Nutzern überhaupt bemerkt werden können. Im Zusammenhang mit der Wahrnehmbarkeit ist das Zwei-Kanal-Prinzip wichtig. Es besagt, dass Informationen besser über zwei verschiedene Sinneskanäle wahrgenommen werden.  

Das bedeutet:  
Informationen, die man sehen kann, müssen auch hörbar gemacht werden.  
Informationen, die man hören kann, müssen auch sichtbar gemacht werden.  

Als Betreiberin oder Betreiber einer Webseite kann man diese Anforderungen erfüllen, indem man zum Beispiel alle Bilder und Grafiken mit Textalternativen versieht; bei Audio- und Videoinhalten müssen Untertitel eingefügt werden. Außerdem sollten die Kontraste und Textgrößen für eine gute Lesbarkeit entsprechend angepasst werden.

Bedienbarkeit  

Alle potenziellen Nutzerinnen und Nutzer der Webseite müssen in der Lage sein, erfolgreich mit der Benutzeroberfläche zu interagieren. Das heißt, Webseiten müssen unter anderem auch für Menschen mit einer Behinderung bedienbar sein.  

Dafür sollte die Webseite per Tastatur nutzbar sein. Ein Verzicht auf Blinken und Blitzen oder andere auffällige Gestaltungen erleichtert die Bedienbarkeit für Menschen mit bestimmten Einschränkungen zusätzlich. Für Zeigergesten oder andere komplexe Gesten sollten Alternativen gegeben sein. Linktexte und eine übersichtliche Navigation innerhalb der Seite sorgen für eine einfachere Orientierung.

Verständlichkeit

Sowohl die dargebotenen Informationen als auch die Benutzeroberfläche der Webseite müssen verständlich sein. Um Inhalte für alle Menschen gut lesbar und verständlich zu gestalten, empfiehlt es sich, eine klare und einfache Sprache zu verwenden. Eventuelle Fachbegriffe sollten erläutert werden. Auch Fehlermeldungen sollten immer möglichst präzise benannt sein.  

Für mehr Verständlichkeit sorgt auch eine Vorhersehbarkeit der Benutzeroberfläche, also eine konsistente Darstellung. Schließlich tragen Hilfestellungen bei der Eingabe von Daten dazu bei, dass Formulare korrekt ausgefüllt werden können.

Robust

Die Inhalte sollten außerdem von Technologien zuverlässig interpretiert werden können. Viele Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen sind auf assistive Technologien oder Tools angewiesen. Das kann zum Beispiel eine Software sein, die Webseiteninhalte vorliest und erklärt. Auch hier ist eine klare und einfache Sprache genauso hilfreich wie die Erklärung von verwendeten Fachbegriffen. Es sollte sicher gestellt werden, dass Screen-Reader und andere Tools mit der Webseite kompatibel sind.

Darüber hinaus nennt das BFSG auch ganz konkrete Anforderungen: 

Auszug aus dem BFSG zu den Barrierefreiheitsanforderungen bei Produkten: 

  • Informationsbereitstellung über mehr als einen sensorischen Kanal wie Vorlesen rein schriftlicher Informationen. 
  • Kontraste und Schriftgrößen sind so gewählt, dass auch Personen mit eingeschränkter Sehkraft die Informationen verständlich wahrnehmen können. 
  • Beschreibung der Benutzerschnittstellen sowie der Handhabung des Produkts. 
  • Informationen auf Produktverpackungen und Anleitungen wie Gebrauchsanweisungen müssen in mehr als einem sensorischen Kanal zur Verfügung stehen und für sehbehinderte Personen verständlich sein (Schriftgröße, Kontrast, Zeilenabstand etc.). 
  • Bedienung, Steuerung und Kommunikation muss über mehr als einen sensorischen Kanal möglich sein. 
  • Größe, Helligkeit und Kontrast der visuellen Elemente muss individuell einstellbar sein. 
  • Alternative Farben müssen zur Verfügung stehen. 
  • Manuelle Bedienung des Produkts muss auch mit geringer Feinmotorik möglich sein. 
  • Anpassbare Lautstärke. 
  • E-Books benötigen eine Sprachausgabe. 

Zusätzliche Anforderungen an Selbstbedienungsterminals wie Ticket-Automaten: 

  • Bei Selbstbedienungsterminals muss eine Sprachausgabe möglich sein, sowie eine Benutzung mit Einzel-Kopfhörern. 
  • Bedienelemente und Tasten müssen taktil leicht erkennbar sein und einen hohen Kontrast aufweisen. 

Auszug aus dem BFSG zu den Barrierefreiheitsanforderungen an Dienstleistungen: 

  • Informationen müssen in mehr als einem sensorischen Kanal zur Verfügung stehen, etwa eine Vorlesefunktion für Text. 
  • Gut lesbare Texte, geeigneter Kontrast (mindestens 4,5:1) und ausreichende Schriftgröße. 
  • Informationen müssen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein. 

Zusätzlich muss ab 2025 auf jeder Webseite eine „Erklärung zur Barrierefreiheit“ hinterlegt sein – natürlich ebenfalls barrierefrei zugänglich.

Wie können Unternehmen den Anforderungen gerecht werden?

Für die meisten Unternehmen stellt sich erst einmal die Frage, ob das BFSG für sie überhaupt gilt. Dazu müssen die eigenen Angebote oder Dienstleistungen genau mit den im Gesetz dargelegten Definitionen für Produkte und Dienstleistungen abgeglichen werden.  

Den vollständigen Gesetzestext stellt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hier bereit: https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz.html  

Eine Anpassung der digitalen Angebote, wie zum Beispiel die Webseite oder der Onlineshop, empfiehlt sich aber in jedem Fall, da nicht ausgeschlossen ist, dass das Gesetz in den kommenden Jahren um weitere Produkte und Dienstleistungen ergänzt wird.  

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